Menschen kommen, Menschen gehen. Und immer passiert etwas! Berühmte Hotels sind Bühnen der Zeitgeschichte. Sie können die interessantesten Geschichten erzählen.
Im Le Bristol in der Rue du Faubourg Saint-Honoré in Paris zum Beispiel gab es jahrelang ein geheimnisvolles Zimmer. Ein Zimmer, das es nicht geben durfte. Es lag im 1. Stock und hatte die Nummer 106. Auch viele andere Grand Hotels erzählen Geschichte und Geschichten. Im Copacabana Palace in Rio de Janeiro zum Beispiel warf Orson Welles die gesamte Zimmereinrichtung – inklusive eines 200 Kilo schweren Klaviers – in den Hotelpool. Er hatte sich mit seiner Freundin gestritten. Im Ritz am Pariser Place Vendome wiederum ließ Hemingway Wodka mit Tomatensaft verdünnen, um seinen Alkoholkonsum zu verschleiern. Er nannte den Drink nach seiner Frau Mary, „Bloody Mary“.
Und im legendären Algonquin am Times Square in New York, einst Stammsitz der berühmtesten und trinkfestesten Literaten, schrieb die exzentrische Theaterkritikerin Dorothy Parker den unvergesslichen Vierzeiler: „I like to have a Martini. Two at the very most. After three I’m under the table. After four I’m under my host.”
Das Geheimnis um das Zimmer 106 im Le Bristol war dagegen gefährlich. So gefährlich, dass die Nummer an der Tür heimlich abmontiert und der Raum aus dem Hotel-Register gelöscht wurde. Warum? Nun ... der Raum war während des 2. Weltkriegs die Zuflucht des jüdischen Architekten Leo Lerman. Frankreich war zu dieser Zeit von den Nazis besetzt. Hätte man Lerman entdeckt, wäre er – wie unzählige französische Juden – in ein Konzentrationslager deportiert worden.
Drei Jahre lang lebte Lerman in diesem Zimmer. Er verließ es nur in der Nacht – wenn alle anderen schliefen. Dann nutzte er den Servicelift. Und streifte durch die verlassenen Hotelflure. Er wurde nie entdeckt. Und auch nicht verraten! Hunderte Hotelangestellte wussten von seiner Existenz und hielten den Mund. Nach dem Krieg kehrte Lerman in sein Architekturbüro zurück.
Sein Lebensretter hieß Hippolyte Jammet, der Gründer des Le Bristol. Seinen Mut und seine Menschlichkeit honorierte Leo Lerman mit seinem Können als Architekt und Designer. Er leitete von seinem Versteck aus die notwendige Renovierung des Hotels. Er gestalte Gästezimmer neu, vergrößerte Aufenthaltsräume und schuf einen eleganten, schmiedeeisernen Aufzug.
Hippolyte Jammet, der sein Handwerk an der Rezeption des Adlon in Berlin, damals eines der berühmtesten Hotels der Welt, gelernt hat, eröffnete sein eigenes Haus 1925 und nannte es „Hotel Le Bristol“. Der Name war und ist eine Hommage an Frederick Augustus Hervey, den 4. Earl of Bristol. Hervey war ein reisefreudiger Mann, der verschwenderischen Luxus liebte. Im 18. Jahrhundert galt der Lord als Inbegriff für den höchsten Standard.
Diesem Anspruch fühlt sich auch der aktuelle Besitzer des Hotels, die Familie Oetker, verpflichtet. Die Bielefelder Industriegruppe übernahm das Le Bristol 1978 und reihte es ein in eine Kollektion erlesener Hotels. Die ‚Oetker Hotel Collection‘ zählt heute neun sogenannte Masterpiece Hotels, darunter das Brenners Park-Hotel in Baden-Baden, das Du Cap-Eden-Roc in Antibes, das L‘Apogée in Courchevel oder das The Lanesborough in London. Allen ist eines gemeinsam: sie gehören zu den besten Häusern der Welt.
Im Fall des Bristols haben die Oetkers sogar selbst Hand angelegt. Maja Oetker (84), die dritte Ehefrau des Firmen-Patriarchen Rudolf August Oetker, kümmert sich persönlich um das Interieur des Hauses. Im vergangenen Jahr wurde die letzte große Renovierung abgeschlossen. Sie dauerte sechs Jahre! Aber nach der Renovierung ist im Le Bristol vor der Renovierung. Seit 1925 wird ständig gebaut, vergrößert, hinzugekauft und verändert.
Das Le Bristol, übrigens das einzige Pariser Luxushotel in europäischer Hand, zählt seit acht Jahren zu den sogenannten ‚Distinction Palace Hotels“. Mit dieser Bezeichnung ehrt das Ministerium für Tourismus Luxusherbergen, die jenseits der üblichen fünf Sterne liegen. In ganz Frankreich gibt es davon nur 25. Sie alle müssen strengste Kriterien erfüllen, 234 an der Zahl. Und das wichtigste Kriterium ist selbstverständlich - schließlich sind wir in Frankreich - eine herausragende Küche. Die 25 ‚Distinction Palace Hotels‘ bringen es insgesamt auf 39 Michelin Sterne!
Vier davon gehen auf das Konto des Le Bristol: drei Sterne für das Restaurant ‚Epicure‘ und ein Stern für die Brasserie ‚114 Faubourg‘. In beiden Etablissements stehen echte Normannen am Herd. Eric Frechon, geboren in Corbie, hat mit dem Epicure einen wahren kulinarischen Tempel geschaffen, ein Restaurant von Weltruf. Für seine Makkaroni, die mit schwarzem Trüffel, Artischocken und Foie Gras gefüllt sind, fliegen betuchte Gourmets um den halben Erdball.
Oder gehen kurz mal über die Straße! Vis à vis vom Le Bristol liegt nämlich der Élysée-Palast, der Amtssitz des französischen Präsidenten. Als Nicolas Sarkozy dort residierte, speiste er fast jeden Tag im Epicure. Woraufhin die französische Presse das Epicure kurzerhand in „Cantine de Sarkozy“ umbenannte. 2008 verlieh Sarkozy dem Koch seines Vertrauens den Orden der Ehrenlegion.
Das zweite normannische Kochgenie heißt Loïc Dantec. Der Küchenchef des 114 Faubourg lernte an der Ecole Hôtelière de Granville, seine Wanderjahre absolvierte er in Paris - bevor er unter Eric Frechon Chef de Partie im Epicure wurde. Heute trägt er die Verantwortung und macht das 114 Faubourg jeden Tag zu einem der gefragtesten ‚Lieu de déjeuner‘ in Paris. Sein Lieblingsgericht? Geschmorte Kalbshaxe mit Kräutern und geräuchertem Speck.
In den Räumlichkeiten des 114 Faubourg war früher übrigens mal eine Bank untergebracht. Davon zeugt noch heute ein riesengroßer stählerner Safe, der zu einem Weinkeller umfunktioniert wurde. Einer von vier hoteleigenen Lagerstätten, in denen insgesamt 100.000 Flaschen aufbewahrt werden. Dort liegen die Produkte der renommiertesten Weingüter der Welt – im Wert von mehreren Millionen Euro. Sie bilden die Grundlage für eine Weinkarte, die vom amerikanische Fachmagazin „Wine Spectator“ bereits zweimal mit dem „Grand Award“ ausgezeichnet wurde.
Das Le Bristol, das 2025 sein 100jähriges Jubiläum feiert, ist die Summe vieler außergewöhnlichen Eigenschaften. Wie nur wenigen Weltklasse-Häusern ist dem Le Bristol eine dezente Noblesse eigen, ein gelebtes Understatement und ein leiser Luxus. Eingerahmt werden diese raren Charakterzüge von einem herausragenden Service. Die Angestellten sind derartig gut geschult, dass sie problemfrei auch im diplomatischen Dienst des französischen Außenministeriums arbeiten könnten.
Einer der charmantesten Angestellten des Le Bristol residiert in einem weiteren geheimnisvollen Zimmer, das links neben dem Haupteingang liegt. Die Tür ziert keine Nummer, aber eine kleine Klappe, damit er jederzeit kommen und gehen kann. Der Angestellte heißt Fa-Raon und ist der amtierende Hotelkater. Er hat Narrenfreiheit im Le Bristol! Macht er nicht gerade ein Nickerchen auf dem Concierge-Desk, spielt er im idyllischen Innenhof. Oder träumt von Kléopatre. Seine Birma-Freundin hat Frankreich vor zwei Jahren verlassen und ist nach Deutschland gezogen. Dort lebt sie in Baden-Baden, im Brenners Park-Hotel, das ebenfalls zur Oetker Collection gehört.
Text: Florian Fischer-Fabian