Ein Blick in das Notizbuch von Joanna Swiecka wäre der Yellow Press vermutlich viel wert. Akribisch sind dort die Vorlieben, Spleens und kleinen Geheimnisse der Reichen und Schönen aufgelistet.
Joanna Swiecka ist Special Guest Manager im Fünf-Sterne-Hotel „Claridge’s” in London. In ihrem Wortschatz fehlt das Wort ‚no‘. Sie erfüllt den Gästen der edlen Herberge (fast) jeden Wunsch. Joanna Swiecka weiß, welchen Pyjama Elton John trägt, welche Blumen Kate Moss liebt, was Brad Pitt frühstückt, welche Zimmerfarbe Joan Collins bevorzugt und was George Clooney vor dem Einschlafen trinkt. Lange bevor der Liftboy den ‚special guest‘ mit einem der ältesten und skurrilsten Aufzüge der Welt (ausgestattet mit einem eigenen Sofa) in seine Suite fährt, hat sie alles - bis ins kleinste Detail - für seinen Empfang vorbereitet.
Das gilt auch für kostspielige Wünsche. Als Utada, Japans Antwort auf Britney Spears, in ihrer Suite einen Whirlpool verlangte, wurde kurzerhand die Badewanne herausgerissen und durch einen Jacuzzi ersetzt. Peanuts gegen die Bauarbeiten, die eine arabische Prinzessin verursachte. Sie hatte 40 Zimmer im 3. Stock gebucht. Zehn davon mussten in Umkleideräume und Esszimmer verwandelt werden. In mehreren Zimmern wurden Küchen eingebaut. Und zwei Suiten dienten ausschließlich als Lagerräume für die Shopping-Beute der jungen Dame.
Das Claridge’s, das zur Maybourne Hotel Group gehört, hat diese Art der Gästebetreuung zur Kunst erhoben. Nicht selten zieht es die betuchte Kundschaft deshalb häufiger in die Brook Street als ins eigene Heim. Sie halten es wie der unvergessene Spencer Tracey. „Not that I intend to die, but when I do”, bekannte der amerikanische Schauspieler,“ I don’t want to go to heaven, I want to go to Claridge’s.”
Von diesen passionierten Wiederholungstätern lebt das Claridge‘s. Manche bringen es auf 200 Tage im Jahr und mehr. Angesichts einer Suite-Rate von bis zu 6.000 Britischen Pfund pro Nacht ein extravagantes Vergnügen. Dafür werden die Gemächer der Stammkunden nach ihrer Abreise fotografiert, damit bei ihrer Rückkehr alles wieder so arrangiert werden kann wie sie es gewohnt sind.
Das Claridge’s, das von den beiden Deutschen Thomas Koch und Knut Wylde geleitet wird, ist kein normales Hotel. Es ist eine Institution. In seiner Klasse spielen Legenden wie das Raffles in Singapur, das Oriental in Bangkok, das Ritz in Paris, das Waldorf in New York oder das Cipriani in Venedig. Hotels also, in denen der Aufenthalt einem genussvollen Nippen an einem edlen Champagner gleicht.
Wie diese Hotel-Legenden besteht auch das Claridge’s nicht nur aus Luxus, Stil und Tradition. Es lebt vor allem durch die Geschichte, die sich dort abspielte, durch die Anekdoten, die dort geboren wurden. In Suite 212 zum Beispiel erblickte Alexander II. von Jugoslawien das Licht der Welt. Um für den Kronprinz die Geburt auf heimatlichen Boden zu ermöglichen, erklärte Winston Churchill am 17. Juli 1945 die Suite für einen Tag zu jugoslawischem Staatsgebiet. Unter dem Bett verstreute man ein Häufchen Erde aus Belgrad.
Überhaupt war und ist das Claridge’s - wie das Savoy im Stadtteil Westminster - das „Gästehaus“ des Buckingham Palace. Fast der komplette Gotha hat sich hier in den vergangenen 200 Jahren die Klinke in die Hand gegeben. Bisweilen führte die royale Dichte - vor allem während des Zweiten Weltkriegs - zu Konfusion in der hoteleigenen Telefonzentrale. Anrufer: „Could I speak to the king?". Operator: "Which one?".
Trotz aller Berühmtheit: ein Selbstläufer ist auch eine Hotel-Legende nicht. Sie muss sich immer wieder neu erfinden. In schöner Regelmäßigkeit gestalten deshalb berühmte Designer „Londons most glamorous grande dame“ um. Der französische Künstler Thierry Despont zum Beispiel, der auch das „The Dorchester“ an der Park Lane renovierte, legte Hand an das Foyer, den Reading Room und den Fumoir. Londons Design-Koryphäe David Collins führte mit behutsamer Hand die Claridge's Bar, eine der gefragtesten Adressen für After-Work-Drinks, in das neue Jahrtausend. Und Modeschöpferin Diane von Fürstenberg schneiderte zahlreichen Suiten und Gästezimmern neue Kleider.
Neu ist auch das kulinarische Angebot, zumindest teilweise. 2014 engagierte das Management des Claridge’s Simon Rogan. Der Brite zählt zu den besten Köchen des Empire. Sein Restaurant "L'Enclume" in der Grafschaft Cumbria zeichnete der Michelin mit zwei Sternen aus. Das und mehr will Rogan auch mit dem „Fera at Claridge’s“ erreichen.